Galerie Marlene Frei
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Peter Green
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Text about the archived exhibition
Peter Green
Counting. Eine Retrospektive.
27. 11. 04 - 26. 02. 05

SPANNUNG LIEGT IN DER LUFT
In über 40 Jahren hat der englische Künstler Peter Green unbeirrt
ein vielschichtiges Werk geschaffen, das es zu entdecken gilt.
Ein Interview von André Behr

Peter Green, Ihre Ausstellung, die als Retrospektive
angelegt ist, nennen Sie „Counting“.
Was wird gezählt?

Ich bin jetzt 66, da bleiben einem nicht mehr sehr viele Jahre und man beginnt zu zählen. Der Titel spielt aber mehr mit dem Zurückrechnen in die Zeit der 60er Jahre, als ich mit Kunst begann. Und damit, dass alle Arbeiten mit Zählen zu tun haben. In „Alban’s ear“ zum Beispiel. Der Komponist Alban Berg benutzte in Werken wie der Lyrischen Suite oder dem Violinkonzert die Buchstaben seines Namens und die des Namens seiner heimlichen Muse Hanna Fuchs zur Konstruktion von Tonreihen. Er teilte sich die Zahl 23 und Hanna die 11 zu und verwendete
diese Zahlen, um Rhythmen und Längen von Intervallen festzulegen. Das wollte ich in dieser Arbeit würdigen.

Wie lautet Ihre Lieblingszahl?

Ich glaube, ich habe keine. Seltsam. Allerdings mag ich das Verhältnis 8:9 besonders. Es definiert beinahe ein Quadrat. Auch mit 7:8 habe ich experimentiert, doch 8:9 gefiel mir besser. Ich schnitt das Zeichenpapier oder Hölzer in diesem Verhältnis zu. Das Werk „Nut house garden“, das
mir viel bedeutet, hat in etwa diese Masse.

Auf was spielt der „Garten einer Klapsmühle“ an?

Militärdienst in den 50er Jahren hiess, sich in Zypern oder Kenia wieder zu finden, um „Feinde“ des British Empire zu töten. Konstruktiver schien es mir, meinen Dienst in einem englischen Spital zu leisten. In der Psychiatrischen Klinik, der ich zugeteilt wurde, erlebte ich Menschen am Rand der geistigen Auflösung. Ein Mann etwa beantwortete jede Frage gleich. „Wie heissen Sie?“ „Ich weiss nicht. “Wie fühlen Sie sich?“ „Ich weiss nicht.“ Offensichtlich war er
krank, aber auf viele Fragen war das die beste Antwort. Wenn ich die Auffahrt hochging, erschien mir alles bedrohlich, die Hecken, die Gärten, das Haus. Aus dem Versuch, diese Eindrücke wieder aus meinem Kopf zu bringen, ohne mich in Konventionen zu flüchten, entstanden in den frühen 60er Jahren viele Zeichnungen, Bilder und Radierungen.

Haben Sie schon früher gezeichnet?

Wie alle Kinder. Viele hören damit auf, weil sie es nicht schaffen, etwas realistisch genau wieder zu geben. Anderen gelingt das, finden sich toll und geben dann auf, da ihnen das Realistische plötzlich nicht mehr passt. Auch ich durchlief all diese Stadien, bis mir aufging, dass Zeichnen
viel mehr ist. Es geht nicht darum, irgend welche Dinge so oder anders aussehend zu machen, sondern um die Stimmung, die sie ausstrahlen, um die Beunruhigung, die beim Zeichnen entsteht. Zwischen dem Kopf und den Strichen auf dem Papier geschieht etwas. Diese Prozesse haben mir immer sehr gefallen, zumal ich ja nicht gerade ein besonders geselliger Mensch bin. Zeichnen versetzt mich an einen anderen Ort.

Wie Gärtnern, das Sie leidenschaftlich betreiben?

Ja, und Fischen. Der Geist begibt sich auf ein anderes Gleis.

Sie zeichnen, machen Aquarelle, Objekte und Reliefs, aber selten Malerei. Warum nicht?

Eine Gestalt bewusst zu malen bringt mich in Schwierigkeiten. Ich fühle mich wohler, wenn ich eine Form zeichne und sie allenfalls später koloriere. Deshalb habe ich schon in den 60er Jahren aufgehört zu malen. Dafür entstanden dann neben den Zeichnungen meine Reliefs,
Glaskästen und Objekte. Da konnte ich konstruieren. Der Malerei wieder näher kommt vielleicht der „Nut house garden“.

Ihre Werke entstehen oft über einen längeren
Zeitraum. Ist das Ausdruck der Wechselwirkung zwischen Kopf und Hand?

Um Gestalten zu schaffen, die weder Comicfiguren sind noch realistisch, aber dennoch bedrohlich
oder besonders sanft wirken, braucht es Zeit. Manchmal über 10 Jahre. An gewissen Tagen sehe ich, was ich hinzufügen oder wegradieren muss, um näher dahin zu kommen, wohin ich will. Dann liegen diese Arbeiten wieder für länger auf Stapeln oder in Kisten. Das ist ein Prozess des immer wieder Anschauens und Veränderns. Auch bei den Boxes und Objekten. Ich habe das Endprodukt selten im Kopf. Erst wenn ich sie wiederholt betrachte, sehe ich, was stimmt und was nicht, ob ein anderes Fundstück, das auf meinen Regalen im Atelier wartet, dazu passt, oder ob ein Bauelement eine andere Lage oder Farbe braucht. Es kommt auch vor, dass ich Arbeiten aus der Kiste nehme und bemerke, dass sie fertig sind, dass es nichts mehr gibt, das ich noch ändern könnte.

Entstehen beim Arbeiten Geschichten?

Ich denke darüber nach, was das für eine Person ist, die da wird. Oft ist es zuerst ein albernes Gesicht, eines das ich nicht stehen lassen möchte, und ich beginne, es komplizierter zu machen. Endlich bekommt die Gestalt eine Art Charakter, aber ich stelle mir dabei nicht vor, dass diese Figur zum Beispiel ein Klempner sei. Hingegen nehme ich wahr, ob sie vielleicht glücklich oder unglücklich ist, ein Opfer oder ein Sadist. So ergeben sich zwischen den Figuren räumliche und psychologische Beziehungen, wenn auch nicht ausgearbeitete Geschichten mit Anfang
und Ende. Es sind eher Geisteszustände, einge frorene
Momente komplizierter Umstände, wie in dem Glaskastenobjekt „Melodrama“ zum Beispiel, in dem eine weibliche und eine männliche Flasche vorkommen, und eine, die am Boden liegt. Spannung liegt in der Luft. Ich mag auch die Interaktionen zwischen den Zeichnungen oder Objekten, wenn die eine Arbeit zur anderen passt und diese beiden eine dritte hervorrufen und so eine Serie entsteht.

Erschrecken Sie manchmal über Figuren, die
Sie schaffen?

Ich neige zur Ironie, und dazu, Charaktere zu zeichnen, die eine tragikkomische Seite haben, Menschen, die lächerlich und traurig zugleich sind. Was für einen einzelnen Menschen schrecklich ernst sein kann, ist im grossen Rahmen gesehen nur ein kleines Bier. Insofern
erschrecke ich mich nicht wirklich. Aber wenn etwas wunderbar aufgeht, oder etwas Überraschendes geschieht, kann ich herzhaft lachen und mich echt gut fühlen. Weil es aus dem Nichts gekommen ist.